Bayreuth (ots) –

Rund 11.400 Athlet:innen aus aller Welt traten bei den Olympischen Spielen in Paris an – und sorgten für spannende Momente, tränenreiche Zieleinläufe, Jubelschreie und schmerzhafte Niederlagen. Auch Jessie Kaps hat, wie viele Zuschauer:innen, am Bildschirm mitgefiebert. Die 26-Jährige weiß aus eigener Erfahrung, um wie viel es für die Sportler:innen ging – wie viel Blut, Schweiß und Tränen hinter all den Spitzenleistungen stecken. Sie hat 2021 bei den Olympischen Sommerspielen in Tokyo teilgenommen und den 27. Platz in der Disziplin 10m Luftgewehr Frauen belegt. Im Interview mit dem Medizinprodukte-Hersteller medi berichtet sie neben ihren sportlichen Erfolgen, wie ihr der Sport geholfen hat, mit ihrer Erkrankung Ehlers-Danlos-Syndrom, einer angeborenen Störung des Bindegewebes, und dessen Begleiterkrankungen Lip- und Lymphödem besser umzugehen.

Liebe Frau Kaps, seit Ihrer Geburt leiden Sie am Ehlers-Danlos-Syndrom. Was genau ist darunter zu verstehen?

„Das ist eine seltene Gruppe von Bindegewebsstörungen, die vererbbar sind und sich in 13 Subtypen klassifizieren lassen – die Symptome und Anzeichen bei Patient:innen sind somit sehr unterschiedlich. Grundsätzlich hält das Kollagen, das einen Großteil des Bindegewebes ausmacht, Knochen, Zähne, Knorpel, Sehnen und Bänder nicht mehr adäquat zusammen. Als Analogie kann man sich eine Mauer mit Backsteinen vorstellen, bei der nicht Zement die Konstruktion aufrechterhält, sondern Sand. Bei mir dehnt sich meine Haut weiter aus als bei gesunden Menschen, ich kann meine Gelenke überstrecken und meine Gefäße sind sehr fragil. Wie bei vielen seltenen Krankheiten war es ein langer Leidensweg bis zur Diagnose. Erst im Jahr 2023 nach einem schweren Autounfall, bei dem mein Hirntrauma ungewöhnlich lange angedauert hat, hat ein Facharzt das Ehlers-Danlos-Syndrom festgestellt.“

Wie macht sich die Erkrankung im Alltag bemerkbar?

„Ich habe Migräne-Anfälle und eine porzellanähnliche, samtige Haut, die schnell gereizt und wund ist. Seit ich mich erinnern kann, tendiere ich zu Verletzungen, blauen Flecken und Hautabschürfungen, hervorgerufen unter anderem durch meine Kleidung. Meine Gelenke sind hypermobil, instabil und lassen sich leicht verschieben. Zudem leide ich an einem Lipödem an beiden Beinen und Armen sowie an einem Lymphödem, von dem fast mein ganzer Körper betroffen ist: Beine, Arme, Hände, Bauch und Gesicht. Gerade bei Wärme im Sommer staut sich die Lymphflüssigkeit und ich bekomme ein fülligeres Gesicht und Unterkinn. Zwar sind beide Erkrankungen in meiner Familie weit verbreitet, für mich waren die Diagnosen mit 19 Jahren dennoch ein Schock. Mein ganzes Leben lang medizinische Kompression zu tragen, war für mich schwierig zu akzeptieren.“

Wie haben Sie die Kraft gefunden, Ihre körperlichen und emotionalen Hürden zu überwinden?

„Ich musste meine Identität neu finden und die medizinische Kompressionsversorgung als Teil von mir annehmen. Ein wichtiger Aspekt war dabei, die optimale medizinische Kompressionsversorgung zu finden. Ich habe viel im Internet und auf Social Media recherchiert und auch Caroline Sprott angeschrieben, die ebenfalls Lipödem-Betroffene ist. Sie hat mir tolle Tipps gegeben und mich ermutigt, mich nicht als Opfer zu sehen, sondern selbstbewusst meinen Weg zu gehen, meine Geschichte zu erzählen und Menschen darauf aufmerksam zu machen. Zudem habe ich ein Sanitätshaus gefunden, bei dem ich mich gut aufgehoben fühle und das mich individuell berät. Heute trage ich die flachgestrickte medizinische Kompressionsstrumpfhose mediven 550 Bein mit Zehenkappen von medi, mediven 550 Armstrümpfe als Bolero und meist geschlossene Handschuhe. In den Knien und Ellenbogen habe ich Pelotten und einen extra weichen Futterstoff einarbeiten lassen, um meine empfindliche Haut und Gelenke zu schonen. Mit der medizinischen Kompressionsversorgung fühle ich mich besser – ich merke, wenn ich sie nicht trage, kommen die Schmerzen langsam wieder zurück.“

Welche weiteren Therapiebausteine helfen Ihnen, besser mit der Erkrankung zurechtzukommen?

„Um meine medizinische Kompressionsversorgung anzuziehen, habe ich spezielle Anziehhilfen und ich creme meinen Körper täglich ein. Zusätzlich gehe ich regelmäßig zur manuellen Lymphdrainage und benutze privat einen Lymphomaten (Gerät, welches durch Luftdruckkammern das Lymphgefäßsystem anregt) – dies ist vor allem zur Regeneration nach dem Sport eine echte Wohltat. Außerdem habe ich meine Ernährung umgestellt und setze nun auf gesunde Lebensmittel mit wenigen Kohlenhydraten und einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren sowie viel Obst und Gemüse. Damit habe ich 15 Kilo abgenommen und fühle mich insgesamt wohler. Selbstverständlich hat auch viel Bewegung dazu beigetragen, das Gewicht zu reduzieren. Für meinen Sport, das Gewehrschießen, waren die körperlichen Änderungen anfangs jedoch eine große Umgewöhnung.“

Inwiefern?

„Mehr Gewicht bedeutet in der Regel auch eine bessere Stabilität beim Schießen. Zudem muss ich meine Waffen auf meine Körpermaße umstellen: Habe ich zum Beispiel vermehrt Wassereinlagerungen im Gesicht, ist meine Auflagefläche für das Gewehr eine andere. Und nicht zuletzt passte mein Wettkampf-Anzug durch den Gewichtsverlust nicht mehr. Wie bei anderen Disziplinen werden diese Anzüge individuell auf uns Sportler:innen zugeschnitten. Da beim Sportschießen ein großer Druck auf den Körper einwirkt, soll der Anzug in erster Linie Halt geben und Rücken sowie Hüften vor Verletzungen schützen.“

Wie sind Sie zum Luftgewehrschießen gekommen?

„Meine Großväter waren bei der Polizei und in der Armee, und auch meine Eltern sind begeisterte Sportschützen. Wir sind früher dreimal pro Woche zum Trainieren in den Verein gefahren, als wir in Belgien gewohnt haben. Heutzutage wäre das nicht mehr denkbar, aber damals durften auch Kinder schießen. Anfangs war das natürlich recht spielerisch, aber als Teenager bin ich dann zu Wettkämpfen gefahren und war sehr erfolgreich.“

Vor drei Jahren haben Sie sich für die Olympischen Sommerspiele in Tokyo 2021 qualifiziert. Was war Ihre erste Reaktion?

„Aufgrund des Lockdowns während der Corona Pandemie konnte ich im Vorfeld isoliert trainieren, ohne Wettkämpfe, ohne Reisen und mich ganz bewusst auf den Sport konzentrieren. Bei dem ersten größeren Wettbewerb nach dem Lockdown, der Europameisterschaft, habe ich als Deutsch-Belgierin die Silbermedaille für Belgien errungen. Als die Durchsage kam, dass die Quotenplätze für Tokyo nach Frankreich und Belgien gehen, und ich damit mein Ticket für Olympia sicher hatte, war ich völlig baff und habe das zuerst gar nicht realisiert. Erst als ich meinen Trainer mit Tränen in den Augen gesehen habe, ist mir bewusst geworden: Wir fliegen nach Tokyo! Das war ein absolut irrealer Moment und ich habe mich riesig gefreut!“

Wie haben Sie die Zeit in Tokyo erlebt?

„Meine Qualifikation hatte keiner auf dem Schirm. Als Athletin war ich mit Anfang 20 gerade aus dem Junior-Alter heraus – und auf einmal war ich Olympiateilnehmerin. Wir hatten nur zwei Monate Zeit für die Vorbereitung. Es kamen Anfragen für Interviews, Fernsehauftritte, ich habe im Schnelldurchlauf ein Mediatraining durchlaufen, das Marketing musste festgelegt werden. Mit meinem Trainer und Team haben wir uns um die Einkleidung, Flüge, Visa gekümmert – es war alles sehr kurzfristig. Eigentlich wäre die Europameisterschaft mein Saisonabschluss gewesen und meine Batterien waren dementsprechend leer. Rückblickend hat mir die mentale Reife gefehlt, einen Wettkampf dieser Größe zu bestreiten. Ich konnte mit dem Stress und den Erwartungen, vor allem meinen eigenen, nicht souverän umgehen. Nach dem Wettkampf war ich zunächst enttäuscht – obwohl ich von knapp 80 Teilnehmer:innen den 27. Platz belegt hatte. Aber mein Trainer und Team haben mich gut aufgefangen. Ich bin wahnsinnig dankbar, diese Erfahrung gemacht zu haben und dabei gewesen zu sein – die Eindrücke vom Olympischen Dorf nehme ich mein ganzes Leben lang mit. Leider hat es für Paris dieses Jahr aufgrund meines schweren Autounfalls im März 2023 nicht gereicht, aber mein nächstes großes Ziel ist Los Angeles 2028. Darauf arbeite ich konsequent hin.“

Hilft Ihnen der Sport, besser mit Ihren Erkrankungen umzugehen?

„Grundsätzlich merke ich, wie gut mir Bewegung mental und körperlich tut. Ich war schon immer sehr aktiv, fahre im Winter Ski, im Sommer Fahrrad oder gehe Inlineskaten. Zusätzlich trainiere ich auf dem Crosstrainer, mache Cardio- und Kräftigungsübungen für die Muskeln. Ich versuche, mich so fit wie möglich zu halten – gerade wegen meiner Erkrankungen. Durch den Sport habe ich gelernt, mich von Niederlagen nicht entmutigen zu lassen, sondern wieder aufzustehen und neu anzugreifen. Disziplin, Struktur und Durchhaltevermögen sind nicht nur im Sport essenziell und machen den Unterschied, sondern helfen auch im Umgang mit Erkrankungen wie Lip- und Lymphödem. Es ist OK, sich auch einmal schlecht zu fühlen, aber Erkrankungen dürfen nicht den Rest unseres Lebens bestimmen. Jede:r durchlebt Ereignisse, die uns verändern – bei manchen sind sie dramatischer als bei anderen. Aber das darf uns nicht stoppen! Im Gegenteil: Wir müssen Veränderungen als etwas annehmen, das uns stärker macht, das uns zu einer besseren Version unserer selbst werden lässt.“

Welch schöne Schlussworte! Herzlichen Dank für das Interview!

Zweckbestimmung mediven 550: Flachgestrickte medizinische Kompressionsversorgung zur Kompression der unteren und oberen Extremitäten, hauptsächlich bei der Behandlung von Erkrankungen des Lymphgefäßsystems.

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